Die Methoden und Taktiken, die die luxemburgische Schwurbelszene anwendet, ähneln nicht selten jenen von Rechtspopulist:innen und Rechtsextremist:innen. Als Ziel gilt die Maximierung der Anhänger:innen der gesamten Szene: dies, damit so viele Menschen wie nur möglich die „Erleuchtung“ erlangen und auf die Straße gehen. Eine Analyse.


Um sich einen ersten Überblick über Strategien und Struktur der Schwurbler zu verschaffen, bietet sich ein Blick auf die öffentlichen Szene-Telegram-Channels an. Dort herrscht ein unangenehmes Klima aus klaren Feindbildern, Schwarz-weiß-Denken, toxischer Hierarchie und gruppenbezogenen Diskriminierungen. Auch Organisatorisches sowie Pläne für aufkommende Demonstrationen finden hier teilweise statt, obwohl bekannt ist, dass Polizei und ihre sogenannten „Feinde“ mitlesen. Wieso schalten sie die Channels also nicht auf geheim?

Weil die Öffentlichkeit der Channels unverzichtbar für sie ist. Es sind die erfolgreichsten Rekrutierungsorte für neue Mitglieder. Dazu gehören auch völkische Wahlkampfpartys für rechtspopulistische Parteien und Rechtsrockkonzerte der rechtsextremistischen Vereine der Schwurbelszene. Während und nach jeder Demonstration gegen die Covid-Maßnahmen trudeln die neuen User:innen im Minutentakt in die Eingangshalle eines grenzenlosen „Rabbit hole“ ein.
Die meisten Menschen, die hier landen, lesen nur mit. Sie erheben selten ihre Stimme und werden auf den Demonstrationen zu Fußsoldat:innen, die die Lücken zwischen den Köpfen und Hetzer:innen der Szene auffüllen. Viele treten offenbar wegen Zweifeln und Ängsten bei. Erst einmal angekommen, werden sie wortwörtlich mit digitalen Inhalten bombardiert, die den sogenannten Bestätigungsfehler, auch bekannt als „confirmation bias“, stimulieren. Nach dem fünften pseudowissenschaftlichen Beitrag, der behauptet, die Impfung sei wirkungslos, da auch Geimpfte sich infizieren können, brennt sich die Fehlinformation als Fakt in die eigene Meinung ein.

Die Inhaltsflut reißt jedoch nicht ab. Neue Ängste werden geschürt und neue Zweifel entstehen. Aus den Fragen „Ist die Impfung wirkungslos?“ und „Ist die Impfung riskanter als das Virus?“ werden rasch „Befinden wir uns überhaupt noch in einer Demokratie?“ und „Was, wenn wirklich der Deep State hinter allem steckt?“. Ähnliche Radikalisierungsprozesse finden in der rechtspopulistischen und -extremistischen Szene statt: Menschen befürchten das Verschlechtern der eigenen wirtschaftlichen Lage durch die Zuwanderung. Sie radikalisieren sich und glauben an die Verschwörung des sogenannten „Großen Umtauschs“. Dabei handelt es sich um den angeblichen Plan, die Bevölkerung durch Flüchtlinge zu ersetzen.

Allgemein herrscht in den Telegram-Channels ein riesiges Wirrwarr an verschiedensten Verschwörungen. Der Glaube an Chemtrails, QAnon, den Deep State, den Great Reset und noch vieles mehr, ist weit verbreitet. Die meisten Inhalte werden aus anderen Channels weitergeleitet. Somit können die User:innen aus Luxemburg mit nur einem Klick noch extremeren internationalen Telegram-Channels beitreten. Auch der Channel der „Marche blanche silencieuse“, des „Rassemblement national“, der „Polonaise solidaire“ und der Szeneköpfe sind stark miteinander verknüpft. Ebenso starke Verknüpfungen gibt es zu international agierenden Bewegungen. Häufig werden menschenverachtende Witze gerissen, die antisemitischer, rassistischer, homo- sowie transphober und ableistischer Natur sind. Kürzlich erst gab es eine Diskussion darüber, dass es nicht rassistisch sei, das N-Wort zu benutzen. Dazu kam die Forderung, dass neben dem Covid Check ein HIV-Check existieren solle, wobei „Heteros“ sich nur einmal, „Homos“ aber dreimal im Monat testen lassen sollen. Diese menschenverachtenden Ansichten werden im Chat angefeuert, aber nur selten von anderen User:innen kritisiert.

„Where we go one, we go all“

Zweifelt ein:e User:in an einer in den Channels geteilten Aussage, Verschwörung, Darstellung oder Inhalt, wird dies selten akzeptiert. Meist wird auf diese:n User:in Druck ausgeübt. Es folgen abgedroschene Phrasen wie „Das ist alles echt, ich habe hier Beweise“, ohne dass jemals ernste Beweise folgen: „Wir müssen zusammenhalten, wir dürfen jetzt nicht aufgeben, sonst haben die gewonnen.“ Mit „die“ ist meistens die Regierung gemeint. „Das hängt alles zusammen, du musst nur die Augen öffnen“, denn für Verschwörungsverbeiter:innen passiert nichts per Zufall, sondern steht stets in irgendeinem wirren Zusammenhang. Dies z.B. unter dem QAnon-Akronym „WWG1WGA“, das für „Where we go one, we go all“, also „Wohin einer geht, gehen wir alle“, steht.

Die meisten geben dem Druck nach, dass das Hinterfragen der Inhalte zum Ausschluss aus der Szene oder zu Reputationsschäden führt. Als z.B. Bas Schagen das Ende von BasTV und seinen öffentlichen Auftritten verkündete, gab es auf Telegram neben viel Anteilnahme auch Kritik und ausfallende Bemerkungen gegen ihn. Ähnliche Erfahrungen machen Aussteiger aus der rechtsextremistischen Szene. Sie werden massiv unter Druck gesetzt, damit sie die Szene erst nicht verlassen, und danach von den Verbliebenen massiv bedroht und gar angegriffen.

Einen essenziellen Teil der Schwurbelwelt stellen die unzähligen Feindbilder dar, ohne die die Bewegung gar nicht existieren könnte. Dabei mischen auch die Köpfe der Szene ordentlich mit. Zu den Feindbildern gehören Epidemiolog:innen, Virolog:innen, Spitzenpolitiker:innen, Jüd:innen, die Presse, die Wissenschaft, Silicon Valley, die Antifa, Big Pharma und viele mehr. All diese Feindbilder haben aus Szenesicht eine Gemeinsamkeit: Sie würden die Schwurbelszene belügen, diskriminieren, gefährden und zensieren. Sie sehen sich mit Blick auf jedes Einzelne dieser Feindbilder in der Opferrolle. Diese Rolle wird anschließend zur Legitimierung ihrer Aktionen und Angriffe benutzt. Begleitet wird dies stets mit Propaganda aus Fehlinformationen und aus dem Kontext gerissenen Tatsachen sowie Berichten. Die Vorwürfe gegen Epidemiolog:innen und Virolog:innen sind willkürlich. Mal wird behauptet, Covid existiere gar nicht und alles sei eine Plandemie, also eine geplante Pandemie. Im nächsten Moment wird eine Covid-Ansteckungsparty organisiert, da sich ein:e User:in des Channels infiziert hat und andere Mitglieder als genesen gelten wollen. Dann wird behauptet, die Impfung wäre ein Mittel, um die Weltbevölkerung zu dezimieren, so wie es der radikalisierte Vegankoch-Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann bereits mehrfach behauptet hat, nur um im nächsten Atemzug zu behaupten, die Bewegung sei für alle da, egal ob geimpft oder nicht.

Gegen Demokratie

Die radikalisierte Szene hat die Bekämpfung der Hygienemaßnahmen und der Impfung längst nicht mehr als primäres Ziel. Sie wendet sich mittlerweile vor allem der Bekämpfung der Demokratie und all ihren Werten. Ein klares Indiz dafür sind vor allem die Reden und Nachrichten der Szeneköpfe in den sozialen Medien. Peter Freitags und Jean-Marie Jacobys Angriffe zielen nicht mehr auf die Pandemiebekämpfung ab. Diese wird nur noch als Vorwand benutzt, um mehr Leute zu rekrutieren und zu mobilisieren. In einem an den Premier gerichteten Facebook-Video bezeichnet Peter Freitag ihn als einen „megalomanischen Diktator“. Die Demonstration vom 4. Dezember mit 5.000 bis 6.000 Teilnehmer:innen, obschon es in Wirklichkeit nur rund 2.000 waren, hätte gezeigt, dass kein Regierungsmitglied und auch kein:e Abgeordnete:r der Koalition würdig sei, das Land weiterhin zu regieren. Außerdem träumt er wiederholt von Bürgerkriegsszenarien. Die Antwort auf die Frage, wer von beiden wirklich ein megalomanischer Möchtegern-Diktator ist, dürfte dabei leichtfallen. Erst kürzlich zirkulierte auf den Telegram-Channels ein weiteres Beispiel der Angriffe auf Spitzenpolitiker:innen. Zu sehen war ein Standbild des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, auf dem es so aussieht, als würde er bei seiner Vereidigung die Hand zum Hitlergruß strecken. Kommentiert wurde es sinngemäß mit „Dann wissen wir ja, wo das hinführt“.

Die Delegitimierung der Presse ist ein weiteres wichtiges Puzzleteil der Schwurbelstrategie. Das Ziel ist, dass sich die Anhänger:innen nur noch bei verschwörungstreuen alternativen Medien und den Telegram-Channels informieren. Den etablierten Qualitätsmedien müssen die Anhänger den Rücken kehren, damit die Manipulation gelingt. Dazu wird die Verschwörung gestrickt, die Presse und eine sogenannte Weltregierung würden unter einem Hut stecken. Begriffe wie Lügenpresse und Staatspropaganda fallen dabei häufig. Der bisher prominenteste Angriff auf die Presse in Luxemburg ist die Veröffentlichung sensibler Daten eines Tageblatt-Journalisten auf Telegram durch den ADR-Abgeordneten Roy Reding. Die Szene hat daraufhin versucht, diesen Journalisten durch Ausüben von Druck vom Berichten abzuhalten oder zumindest einzuschüchtern.

„False Flag“-Behauptung

Die Angriffe auf die Medien finden auch anderwärtig statt – in weiteren sozialen Medien und auf Demos im echten Leben. Hier lauert überall der vermeintliche „Geist der bösen Staatspropaganda“. Interessanterweise werden gelegentlich auch aus Überzeugung Artikel der etablierten Presse in den Telegram-Channels verbreitet. Dann sind es aber ausschließlich Russia Today, Bild, andere Medien des Springer-Verlags oder auch Luxprivat, also allesamt Medien, denen noch nie viel an Qualitätsjournalismus und Wahrheitsgehalt gelegen hat. Letztere aus der Aufzählung wirbt sogar mit dem Slogan „Exklusive Nachrichten, die nicht vom Staat kontrolliert werden“. Dass es sich dabei um einen Marketing-Trick umgekehrter Psychologie handelt, ist zweifelhaft.

Vor den Demos des 11. Dezember gab es auch vermehrt die Erzählung von der Polizei, die eigentlich auf der Seite der Schwurbler:innen stehen würde. Dieses Framing wurde allerdings mitsamt der Randalierenden vom Wasserwerfer weggefegt. Apropos Randalierende: hier versteckt sich eines der am weitesten verbreiteten Beispiele für die Opferrolle. Die Randalierenden werden von Schwurbler:innen immer wieder zu von der Regierung eingesetzten Antifa verklärt, die angeblich gezielt auf die Demos geschickt würden, um der Szene einen Imageschaden zu verpassen. Dies ist natürlich erfunden und erlogen, den Imageschaden richten sie sich so selbst zu. Diese Art der Opferdarstellung, in der man den Feind für die eigenen Aktionen verantwortlich machen möchte, nennt sich „False Flag“-Behauptung: Es handele sich um Taten, die unter falscher Flagge begangen würden. Auch beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 behaupteten die QAnon-Anhänger:innen fälschlicherweise, der Sturm wäre von der Antifa inszeniert worden.

Im April 2021 entschied der deutsche Bundesverfassungsschutz, die Querdenkerbewegung zu beobachten. Dies aufgrund von Verdachtsfällen und erwiesenen extremistischen Bestrebungen. Außerdem habe die Bewegung Kontakte zur rechtsextremistischen Szene gesucht. Die luxemburgische Schwurbelszene steht der deutschen Querdenkerbewegung sehr nah. Mit Timon Müllenheim hat die Szene einen rechtsextremistischen Verbündeten und mit dem Schulterschluss mit der ADR einen rechtspopulistischen, verlängerten Arm ins Luxemburger Parlament. Die Analyse der Methoden und Taktiken der Schwurbelszene legt somit den Schluss nahe, dass sich ihre Anhänger:innen von Rechtsextremist:innen und Rechtspopulist:innen instrumentalisieren lassen.


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